Eröffnungsrede zur Ausstellung:

PETRA AMERELL  /  "LAKESIDE"

Haus Buchenried, Leoni/Berg, 20. April - 31. Juli 2018

 

 

"OHNE TITEL"  -  Über die Malerei von Petra Amerell

 von Silvio Blatter (Schriftsteller und Maler)

 

Ein heller Tag, Nordlicht im Atelier von Petra Amerell. Es ist ein Licht, das nicht übertreibt, das keiner Farbe schmeichelt, es ist das zum Malen richtige Licht.
An der Wand hängt ein angefangenes Bild. Davor steht die Künstlerin. Sie schaut und denkt nach. Sie macht einen Schritt zurück. Wieder schaut sie und überlegt, und was sich bei diesem Vorgang in ihrem Kopf abspielt, wäre sogar für sie selbst schwer zu beschreiben. Sie beginnt nicht gleich mit der Arbeit, d.h. sie hat mir der Arbeit schon begonnen. 


Malerei ist Kopfarbeit.

Und Zuschlagen.


Die Malerin hat zwei Augen. Diese Augen sehen, was sie bereits gemacht hat. Die Malerin hat aber auch ein inneres Auge. Vor dem inneren Auge steht auch ein Bild… und schon ist es wieder weg. Versuchen Sie einmal, den Blitz zu fotografieren.


Die Malerin weiß, dass das Bild an der Malwand noch nicht fertig ist. Die Sache ist nicht leicht zu erklären: Man kommt ihr mit MESSEN und WIEGEN und SYSTEMATIK nicht bei. Malen ist keine Wissenschaft. Petra Amerell hat ihren subjektiven Maßstab und ihre malerische Logik… und das sind keine stabilen Kriterien. Ihr missfällt auf dem Bild, das sich über Nacht ja nicht verändert hat, am Morgen eine Stelle, die ihr gestern um Mitternacht noch gelungen schien.

Beim Betrachten würde sie sagen: Die einzelnen Farbformen ergeben noch keinen spannenden Klang. Manche Flächen und Flecken fügen sich noch nicht ins Ganze der Komposition.

Wie malt die Künstlerin ein Bild, von dem sie noch gar nicht weiß, wie es am Ende aussehen soll? 


Das Bild entsteht beim Malen.

Das klingt doch sehr verständlich und vernünftig.


Es ist als VAGE VORSTELLUNG vorhanden… (vielleicht so, wie sich die Menschen vor fünfhundert Jahren in Deutschland einen Elefanten vorgestellt haben. -- Vielleicht so, wie eine Mücke in der Sommernacht, die wir hören, aber nicht sehen). Das Bild ist in ihr drin, in ihrem Pool… aber noch nicht in ihren Händen.


MALEN MUSS SIE ES MIT DEN HÄNDEN. Mit den Händen, die ein Werkzeug halten. Einen Pinsel. Aber welchen? Den runden, den breiten, den sehr breiten, den spitzen, den stumpfen?

Petra Amerell muss nicht die Augen schließen, um durch alles hindurch zu schauen, in sich hinein.
Versinken.


Petra Amerell schaut jetzt auf einen Tisch. Darauf stehen Gläser, sie enthalten Pigmente, Farbpulver, manche fein wie Mehl, manche körnig wie Zucker. Mit Acrylbinder und ROT rührt sie eine Farbe an.

 

In der Versenkung (im Atelier und im Kopf) geschehen Dinge, einfach gesagt, es spielen sich wunderbare Prozesse ab, das Denken wird zum Gedanken. Das Nachdenken über das Bild wird zu einem konkreten Gedanken, zu einem malerischen Einfall. Dieser lautet womöglich:

MACH DA EIN ROT.

Oh, sie ist ja schon dabei, sie rührt das ROT ja schon an. Sie ist bereits in der Bewegung ROT.

Nun kommt die Beschleunigung. 

 

Das Bewusste und das Unbewusste mischen sich in einem Verhältnis, das nie dasselbe ist und bleibt – es ist, um es mit einem Bild auszudrücken, eine Wolke. Eine Wolke verändert sich stets, sie wechselt Form und Farbe und Dichte und Höhe und Geschwindigkeit… sie kann sich zur Wolkenwand aufbauen, DUNKEL, sie kann sich vollständig auflösen. NUR DAS BLAU des Himmels bleibt. Ihre momentane Idee heißt aber: MACH DA EIN ROT.


Petra Amerell arbeitet an einem Bild, das an der Wand hängt – oder sie bückt sich zu einem Bild hinunter, das auf dem Boden liegt. Sehr große Bilder legt sie gern auf den Boden. Doch dann wird es kompliziert mit der Übersicht. Im Atelier steht darum eine Leiter. 

Liegt eine große Arbeit auf dem Boden, steigt Petra Amerell zuoberst auf die Leiter und betrachtet ihr Werk aus der erhöhten Perspektive. Sie ist dort oben, kommt mir vor, ein Kind in einer Baumkrone, der Baum ist ein Kirschbaum, sie isst Kirschen.
MAL EIN ROT - sag ich doch.

Lassen wir Petra Amerell MALEN, wünschen wir ihr Gelingen.

 

SCHNITT

Ich möchte Ihnen ein paar Gedanken zum Thema Hüte und Brillen ans Herz legen.

Eine Besucherin, ein Besucher geht durch eine Ausstellung der Farbmalerin Petra Amerell und betrachtet die Bilder. Der gute Mensch trägt eine Sonnenbrille und einen Hut.

Was sieht die Person mit der Sonnenbrille? Kann man die Bilder Petra Amerells mit einer dunklen Sonnenbrille betrachten? Macht das Sinn?

 

Es ist nicht nur kompliziert, es ist vermessen, mit einer dunklen Brille Farben sehen zu wollen. Es ist mit jeder gefärbten Brille kompliziert. Und jeder von uns, hat eine Brille auf, hat seine Sicht, hat seine Sehmuster, hat seinen Blick und seine Perspektive. Wir sehen oft so genormt, dass wir das Eigentliche gar nicht erkennen. Manchmal schauen wir mit derart festgelegter Erwartung und so stur, bis wir sehen, was wir erwartet haben, was wir sehen wollen. WIR STARREN EINEN HUND AN, BIS ER EIN WOLF IST. WIR SEHEN FLAMMEN AUS DEM FENSTER SCHLAGEN, GLAUBEN ABER NICHT, DASS DAS HAUS BRENNT.

Die Brille steht für den eigenen Blick, für das Subjektive des Sehens, und manchmal verwandelt sich die Brille in ein Brett vor dem Kopf.

Und jeder trägt einen Hut. Der Hut steht für unsere Gewohnheiten. Wir müssen ja alles unter einen Hut bringen. IMMER DER REIHE NACH. Und Gewohnheiten vereinfachen das Leben. Wir machen das so - und wir machen dies so. WEIL: So sind wir es gewohnt. WEIL: So kommt es immer gut. Nur darum erscheinen wir jeden Morgen pünktlich zur Arbeit und finden am Abend die eigene Haustür wieder. Wir setzen unsere Brille auf und tragen einen Hut.

Bei manchen ist der Hut angewachsen.


Neben den unbestrittenen Vorteilen hat dieses Verhalten natürlich auch Nachteile: Mit Hut und Brille tut man sich schwer, wenn es um etwas Neues geht. Wenn es um Neugier geht, wenn es um eine Entdeckung geht, wenn es darum geht, einmal einen anderen Weg als den gewohnten zu nehmen, einmal einen neuen Tanz zu wagen, einmal den Blick auf die Dinge zu ändern, die Perspektive zu wechseln. 
DIE SICHERE ZONE VERLASSEN.

Das gilt übrigens auch für die Künstlerin: Auch Petra Amerell fragt sich immer wieder: WELCHE BRILLE TRAGE ICH? Und setzt sie dann ab. Und legt sie neben den ALTEN HUT.


Während ich diese Passage schrieb, hat Petra Amerell das Rot endlich aufs Bild gebracht. Sie hat englischen Zinnober mit Cinquasiarot vermischt und etwas Alizarin dazugegeben. Die drei Pigmente hat sie mit Acrylbinder zu einer dickflüssigen Farbe gemischt. Sie soll nicht tropfen. Sie hat den zwölf Zentimeter breiten Pinsel genommen und die Farbe zügig und aus dem lockeren Handgelenk heraus aufgetragen. Die bemalte Fläche leuchtet nun wie ein Abendrot über Singapur. 

Das gefällt ihr. Sie lässt die Hand mit dem Pinsel sinken und tritt einen Schritt zurück.

Aber passt das neue Rot zum Ocker aus Umbrien auf dem Feld daneben? Müsste sie nun nicht BÖHMISCHE GRÜNE ERDE darüber legen? 


Beim Malen und beim Betrachten eines Bildes kann man das Ganze sehen, das Ganze ins Auge fassen… oder sich in Details verlieren. Wenn die Malerin ein Detail ändert, verändert sie das Ganze. Wenn sie ein Gelb heller macht, wirkt das Grün dunkler (ohne dass sie es berührt hat). Wenn sie links unten etwas verändert, beginnt ein Feld rechts oben zu flimmern.


Die Malerin in Gedanken: Sie muss fortwährend Entscheidungen treffen. Wer Angst hat vor Entscheidungen und Angst davor, einen Fehler zu machen, sollte die Finger vom Malen lassen.

Angst ist ein Gas, Gase sind flüchtig

Malerei ist ein Medium. Es gibt heiße Medien und kühle Medien.


Das Kino, ein Film, z.B. ist ein heißes Medium. Warum? Du sitzt in einem vollen, dunklen Saal und siehst den Film mit allen Farben und Geräuschen, den Stimmen und Gesichtern, der Musik… den Szenen, Dialogen undsofort: Die Fülle kommt über dich. Du hältst nicht inne, um zu reflektieren. Du schließt die Augen, um etwas nicht sehen zu müssen. Du schließt die Augen und verpasst einen Schuss. Und wenn du abschweifst – läuft der Film weiter. Du bist aus dem Geschehen ausgeschlossen. Der Film braucht dich als Zuschauer, der die Klappe hält und am Schluss den Saal erschlagen verlässt. Das ist wunderbar.


Malerei ist ein kühles Medium. Petra Amerells Bilder an der Wand fallen nicht über dich her. Wenn du die Augen schließt, bitte, du machst sie wieder auf, und das Bild steht genauso wie vorher noch da. Es spricht nicht. Da ist keine Musik, keine Betriebsamkeit. Das kühle Medium schließt dich ein. Du musst alles selbst mit Wärme aufladen. Du bist eingeladen zu schauen, zu reflektieren. Austausch ist geboten. Du darfst mit jemandem, der neben dir schaut, über das Bild sprechen… über dieses versessene Rot. zum Beispiel. 


Leg die Brille ab. 

Leg den Hut ab.


Petra Amerell ist eine Farbmalerin. Sie ist angefressen von Farbe, sie ist farbensüchtig. Manchmal bekommt sie den Farbkoller, die Farbwut.

Sie arbeitet aus dem Körper heraus, tänzerisch, explosiv, dann wieder in Zeitlupe: Die Bewegung ist wichtig. Das Haptische kommt dazu, der Zugriff, das Material, der Biss. Und vor ihren Augen entsteht ein Bild, das sie noch nicht kennt. Ein Bild, das sie nicht nur malt: Sie sieht es auch als erste.


JETZT ENDLICH IST ES DA. 

Gesichert für die nächsten vierundzwanzig Stunden- ganz sicher vor ihrem Zugriff ist es erst – nach dem Verkauf.


Petra Amerell betrachtet nicht nur ihr neues Bild… sie hat sich schon Tausend Bilder einverleibt… im Verlauf vieler Jahre. Zu den eigenen Arbeiten kommen die Bilder anderer Künstlerinnen und Künstler. Petra Amerell reist nach Edinburgh, um Bilder von Hodgkin und Twombly zu sehen. Sie fliegt wegen der David Hockney Retrospektive nach London. Sie versenkt sich in Gemälde. Sie verbringt Stunden in einer Ausstellung.


Petra Amerell sieht sich selbst in der Tradition der Farbmalerei. Die berühmten Werke dieser Schule haben sie inspiriert. Sie hat sie gründlich studiert und analysiert. Es gibt Bilder, die lassen ihr Herz immer noch höherschlagen. 


DOCH LÄNGST hat Petra Amerell in der Farbmalerei eine ganz eigene Stimme gefunden, eine eigene Position und Auffassung. Sie hat ihre persönliche Malweise und intime Farbsprache akribisch entwickelt. Und sie vertraut auch ihrer Intuition, ihrem siebten Sinn für Farbe. Unbeirrt geht Petra Amerell ihren künstlerischen Weg, souverän schafft sie eine kraftvolle und kühne Malerei.