PETRA AMERELL  -  FARBAKKORDE / Aquarelle 2020-21

 

Wir lieben Leichtigkeit. Papierflieger sind ein Symbol dafür. Würde Petra Amerell einen Papierflieger mit Aquarellfarben bemalen und dem Wind überlassen, ist die Vorstellung seiner Kapriolen schön. Doch das klappt nicht, Aquarellpapier lässt sich nicht gern falten und ist auch zu schwer. Ja, das Leichte hat sein Gewicht. Aquarelle besitzen die Anmutung leicht, aber Aquarellieren ist schwer. 

Das Papier liegt auf dem Tisch und muss benetzt werden. Alles, was die Malerin sich ausgedacht und vorgenommen hat, muss sie im Augenblick vergessen. Der Augenblick ist die Sekunde, in der sie mit dem farbnassen Pinsel das weiße Blatt berührt. Darum, vermute ich, rührt sie so ausgiebig Farbe an, schaut sie so lange aufs Blatt, reglos, um dann, entschieden und plötzlich, die erste Bewegung auszuführen, deren Spur sofort sichtbar ist und, ob richtig oder falsch gesetzt, unauslöschlich vorhanden. 

Aquarellieren erfordert Gelingen auf Anhieb. Eine Jazzmusikerin kommt mir in den Sinn. Sie improvisiert. Sie spielt frei, folgt ihrer Intuition, weiß nicht, was dabei herauskommt. Zu den Spielregeln gehört, dass sie keinen Ton zurücknehmen kann. Petra Amerells Aquarelle folgen einer ähnlichen Dramaturgie. Die Künstlerin improvisiert, sie ist frei im Kopf und frei mit der Hand. Sie kann auch keine Farbe zurücknehmen. Es ist eine Frage der Übereinstimmung und des Rhythmus: Bewusstsein, Gedanken, Körper, Pinsel, Papier, Farbe, alles muss koordiniert sein.

In den Monaten der Pandemie, die wir als Lockdown umschreiben, entschied sich Petra Amerell für Aquarelle. Das passte jetzt. Der Drang, sich mit Farbe auszudrücken, war stärker als die Umstände. Zurückgezogen aquarellierte sie in ihrem Atelier und bei schönem Wetter auf dem Balkon. Ihr Bedürfnis zu malen war unstillbar.

Petra Amerell hat sich ein der schwierigen Zeit entsprechendes Refugium geschaffen. Nun lässt sie uns das Ergebnis sehen: Starke, frische, hinreißende Aquarelle, sie zeugen von Könnerschaft, Farbensinn und Fantasie.

 

Silvio Blatter (Schriftsteller, Maler, Kolumnist)